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    sie jetzt vielleicht den Spiegel.
    Agnes fuhr mit ihrer Geschichte fort, und ihr Ton verriet von
    nun an weniger Trauer als Zorn. »Ich begriff dann, dass er
    mich getäuscht und mich benutzt hatte, um ihn vor dem Rest
    der Familie zu beschützen. Ich war wütend, doch als ich mich
    umdrehte und versuchte, ihn mit all dem zu konfrontieren,
    konnte ich nur den Timothy sehen, dem ich vertraut hatte. Ich
    konnte es noch immer nicht über mich bringen, gegen ihn zu
    kämpfen. Er war böse, das hatte ich inzwischen akzeptiert, aber
    er gehörte noch immer zur Familie. Doch als ihm dämmerte,
    dass ich etwas wusste, war er bereit, mich zu töten. Ich musste
    etwas unternehmen und ich musste es sofort tun. Und so
    betrachtete ich wieder sein Bild im Spiegel und schleuderte
    meinen Bezwingungszauber in sein wahres Gesicht, das
    Spiegelbild.«
    »Und du hast ihn erfolgreich bezwungen«, sagte Leo.
    132
    »Das dachte ich«, erwiderte Agnes, »obwohl ich in dem
    Kampf von ihm ebenfalls verwundet wurde, tödlich, wie sich
    herausstellte. Ich verbannte sein körperliches Wesen in den
    Spiegel, wo es, wie ich erwartete, für immer gefangen sein
    würde. Aber nach dem, was ihr mir erzählt habt, habe ich mich
    vielleicht geirrt. Vielleicht verblieb irgendein Teil seiner
    Essenz außerhalb des Spiegels, und er arbeitet jetzt daran, seine
    körperliche Gestalt zurückzugewinnen, indem er Unschuldige
    tötet und so seine Kräfte mehrt.«
    »Danach klingt es jedenfalls«, nickte Leo.
    »Weißt du, wie wir ihn finden können? Ihn aufhalten
    können?«, fragte Phoebe.
    »Ich bin mir nicht ganz sicher«, antwortete Agnes.
    »Schließlich habe ich offenbar nicht so gute Arbeit geleistet,
    wie ich ursprünglich dachte. Aber eine Sache ist sicher.«
    »Welche?«, fragte Piper.
    »Ihr müsst diesen Spiegel finden«, erklärte der Geist, »bevor
    er es tut.«
    Darryl Morris saß an seinem Schreibtisch im Großraumbüro
    und betrachtete durch die halb geöffneten Jalousien die neblige
    Straße vor seinem Fenster. Das Wetter an diesem Tag hatte
    Dutzende von schweren und leichten Verkehrsunfällen
    ausgelöst. In einem Fall hatte ein Taxi die Geschwindigkeit
    einer entgegenkommenden Straßenbahn falsch eingeschätzt
    und versucht, vor ihr links abzubiegen. Die mächtige
    Stahlstoßstange der Straßenbahn hatte den linken vorderen
    Kotflügel des Taxis erfasst und weit aufgerissen und, um die
    Sache noch schlimmer zu machen, das Auto gegen eine Ampel
    geschleudert, die daraufhin ausgefallen war.
    Der Verkehr war an dieser und vielen anderen Unfallstellen
    zum Stillstand gekommen, was zu Streit, Schlägereien und in
    einem Fall zu einer Schießerei geführt hatte. Doch zum Glück
    hatte der Schütze sein Ziel verfehlt, und die Kugel hatte zwar
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    das Schaufenster eines italienischen Schneiders zerschmettert,
    aber niemanden verletzt. San Francisco hatte ein
    bemerkenswert beständiges Wetter, wie Darryl wusste, und der
    Temperaturunterschied zwischen Winter und Sommer betrug
    weniger als zwanzig Grad. Und gerade weil es so beständig
    war, geriet die Stadt von etwas Ungewöhnlichem wie diesem
    Nebel völlig außer Kontrolle.
    Nachdem er den Nakamura-Tatort begutachtet hatte, war er
    an seinen Schreibtisch zurückgekehrt und hatte die
    Telefonunterlagen der Opfer miteinander verglichen. Seine
    Augen brannten, und hinter seinen Schläfen baute sich ein
    pochender Kopfschmerz auf. Aber das spielte keine Rolle. Er
    würde weitermachen und alles tun, was in seiner Macht stand,
    um diesen Mörder zu fassen.
    Er hatte herausgefunden, dass Julia Tilton und Rosa Porfiro
    in den letzten zehn Tagen die Ticketinformationsstelle
    desselben Kinos angerufen hatten, allerdings nicht am selben
    Tag, sodass die Chance gering war, dass sie zusammen ins
    Kino gegangen waren. Wells, Nakamura und Winter hatten alle
    in den vergangenen Tagen die 555-1212 angerufen, um sich die
    korrekte Zeit durchgeben zu lassen, doch das war ohne
    Bedeutung. Denn Darryl hatte festgestellt, dass die Zeitansage
    automatisiert war. Und vor vier Tagen hatte Nakamura eine
    Nummer angerufen, die Tilton neunzehn Tage zuvor gewählt
    hatte, eine Nummer, bei der es sich, wie Darryl herausgefunden
    hatte, um die Beschwerdestelle für Zeitungsabonnenten
    handelte.
    Soweit er wusste, stand der Rest der Sonderkommission
    ebenfalls mit leeren Händen da, es gab keine Verbindungen
    zwischen den Opfern. Damit blieb nur eine Möglichkeit: Die
    Morde waren zufällig begangen worden, ein Verbrechen aus
    Gelegenheit. Und der Mörder würde deshalb viel schwerer zu
    finden sein.
    134
    Paige hatte den Golden Gate Park immer geliebt, schon als
    kleines Kind. Sie verbrachte dort nicht so viel Zeit, wie sie es
    gerne gewollt hätte, aber allein das Wissen, dass es ihn gab,
    eine grüne Zuflucht vor dem Beton und Stahl, aus dem der Rest
    der Stadt bestand, erfüllte sie mit einem gewissen
    Seelenfrieden. Sie mochte die Museen, die erzwungene Stille
    des japanischen Teegartens, die überwältigende Vielzahl an
    Pflanzen, die Boote auf dem Stow Lake und die Miniaturboote
    auf dem Spreckels Lake, und sie genoss es, über die vielen
    Wege und Wiesen zu wandern. Die Vielzahl an Bäumen auf
    diesen wenigen Kilometern war absolut erstaunlich,
    angefangen von weit ausladenden Eichen über importierte
    Eukalyptusbäume bis hin zu riesigen Redwoods, die nach den
    Wolken griffen.
    In der Junior High hatte sie einen Aufsatz über die
    holländische Windmühle geschrieben, und ihr fiel wieder ein
    Teil von dem ein, was sie dabei herausgefunden hatte. Das
    Land, auf dem der Park angelegt worden war, hatte
    ursprünglich aus Sanddünen bestanden. Um dieses sandige
    Ödland in einen Park mit einer Million Bäume und einer
    blühenden, artenreichen Flora zu verwandeln, waren gewaltige
    Mengen an Wasser erforderlich gewesen. Zu diesem Zweck
    errichtete die Stadt im Jahr 1903 in der nordwestlichen Ecke
    des Parks die holländische Windmühle, die genauso aussah und
    funktionierte wie die in den Niederlanden. Das mächtige,
    dreiundzwanzig Meter hohe Betonbauwerk mit seinen über
    dreißig Meter langen Windmühlenflügeln war in der Lage, pro
    Stunde hundertvierzigtausend Liter Wasser heraufzupumpen,
    Wasser, das, auf natürliche Weise durch die Sanddünen
    gefiltert, rein genug war, um die Frischwasserseen zu speisen.
    Eine zweite Windmühle wurde kurz danach in der
    südwestlichen Ecke errichtet, aber beide wurden schließlich
    durch elektrische Pumpen ersetzt. Jetzt waren die Bauwerke
    135
    nur noch Sehenswürdigkeiten, die ansonsten keinem
    praktischen Zweck dienten.
    Der Nebel war heute in dichten Schwaden vom Meer
    heraufgezogen, sodass Paige froh war, ihre Lederjacke zu
    tragen. Das Kuppeldach der Windmühle war kaum zu
    erkennen. Die oberen Teile der Flügelblätter waren dem Blick
    völlig entzogen. Nebel trieb durch die Bäume in der Umgebung
    wie der Rauch eines Waldfeuers, verhüllte ihre Wipfel und
    Äste und sogar die Stämme jener, die nicht in der Nähe der
    Lichtung am Fuß der Windmühle wuchsen. In hellgrauem
    Licht schienen die rosa und weißen und tiefroten
    Rhododendren zu leuchten.
    Paige konnte Timothy nirgendwo entdecken. Sie stand in der
    Mitte des Rasens, der die Windmühle umgab, neben den [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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