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Anstrengungen kennt, als die, welche sein Glück er-
heischt, neben ihrem Wagenschlag einhergaloppieren.
Und wenn er zum Lohn für so viele ihr unbekannte Opfer
nichts erhielt, als die sanftesten Worte und die holdesten
Gewißheiten einer ewigen Zuneigung, als leidenschaftli-
che Händedrücke in ein paar unbeobachteten Augenbli-
cken und glühende Liebesworte, die er mit ihr tauschte,
so kam er sich bisweilen recht dumm vor, daß sie nichts
von dem ungeheuren Preis erfuhr, mit dem er diese klei-
nen »Zeichen der Huld« bezahlte, um mit unsern Vorel-
tern zu reden. Die Gelegenheit zu einer Aussprache ließ
nicht auf sich warten. An einem schönen Apriltag nahm
die Gräfin in einer entlegenen Gegend des Bois de Bou-
logne Nathans Arm. Sie hatte ihm einen jener reizenden
Vorwürfe wegen nichtiger Dinge zu machen, auf die die
Frauen Berge zu bauen verstehen. Statt ihn mit einem
Lächeln auf den Lippen und mit glückstrahlender Stirn
zu begrüßen, statt daß irgendein feiner, lustiger Gedanke
ihre Augen belebte, war sie ernst und feierlich.
»Was haben Sie?« fragte Nathan.
»Geben Sie sich nicht mit diesen Nichtigkeiten ab,« ant-
wortete sie. »Sie müssen doch wissen, daß die Frauen
Kinder sind.«
»Habe ich Ihr Mißfallen erregt?«
»Wäre ich dann hier?«
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»Aber Sie lächelten mir nicht zu. Sie schienen nicht
glücklich, mich zu sehen.«
»Ich bin Ihnen böse, nicht wahr?« sagte sie und blickte
ihn mit der unterwürfigen Miene an, mit der die Frauen
sich als Opfer hinstellen.
Nathan ging ein paar Schritte weiter. Eine Befürchtung
schnürte sein Herz zusammen und stimmte ihn traurig.
»Es ist«, sagte er nach kurzem Schweigen, »wohl eine
jener nichtigen Befürchtungen, jener luftigen Verdachts-
gründe, die Ihnen über die größten Dinge des Lebens
gehen. Sie verstehen sich darauf, die Welt zu gängeln,
indem Sie einen Strohhalm hineinwerfen!«
»Ironie? ... Darauf war ich gefaßt,« sagte sie, den Kopf
senkend.
»Marie, mein Engel, siehst du nicht, daß ich das sagte,
um dir dein Geheimnis zu entlocken?«
»Mein Geheimnis bleibt ein Geheimnis, selbst wenn ich
es dir anvertraut habe.«
»Also sprich ...«
»Ich werde nicht geliebt,« versetzte sie mit jenem listigen
Seitenblick, mit dem die Frauen den Mann, den sie quä-
len wollen, so boshaft ausfragen.
»Nicht geliebt? ...« rief Nathan.
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»Ja, Sie geben sich mit zu viel Dingen ab. Was bin ich
inmitten dieses ganzen Wirrwarrs? Bei jeder Gelegenheit
vergessen. Gestern kam ich ins Bois. Ich erwartete Sie
...«
»Aber ...«
»Ich hatte für Sie ein neues Kleid angezogen, und Sie
kamen nicht. Wo waren Sie?«
»Aber ...« »Ich wußte es nicht. Ich ging zu Frau von
Espard und fand Sie nicht.«
»Aber ...«
»Abends, in der Oper habe ich unverwandt nach dem
Balkon geblickt. Jedesmal, wenn die Tür aufging, klopfte
mein Herz zum Zerspringen.«
»Aber ...«
»Welch ein Abend! Von diesen Stürmen des Herzens
ahnen Sie nichts.«
»Aber ...«
»Man reibt sich in solchen Aufregungen auf ...«
»Aber ...«
»Nun?« fragte sie.
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»Ja,« sagte Nathan, »man reibt sich auf, und Sie werden
in ein paar Monaten mein Leben aufgerieben haben. Ihre
sinnlosen Vorwürfe entreißen mir nun auch mein Ge-
heimnis ... Ach! Sie werden nicht geliebt? ... Zu sehr
werden Sie geliebt.«
Nun schilderte er seine Lage in lebhaften Farben, erzählte
von seiner Nachtarbeit, gab ihr seinen Tageslauf im ein-
zelnen an, sprach von dem Zwange, Erfolge zu erringen,
von den unersättlichen Ansprüchen einer Zeitung, deren
Leiter die Ereignisse im voraus einschätzen müsse, wolle
er nicht seinen Einfluß verlieren, kurz von all den hasti-
gen Erörterungen von Fragen, die in dieser rasenden Zeit
im Wolkenfluge vorübereilten. Raoul war gleich wieder
im Unrecht. Die Marquise von Espard hatte es ihm rich-
tig gesagt: nichts ist so harmlos wie eine erste Liebe. Es
fand sich bald, daß die Gräfin einer zu großen Liebe
schuldig war. Eine liebende Frau beantwortet alles mit
einer Freude, einem Geständnis oder einem Vergnügen.
Als die Gräfin dies gewaltige Lebensbild vor sich aufge-
rollt sah, wurde sie von Bewunderung ergriffen. Sie hatte
Nathan sehr groß gemacht, sie fand ihn erhaben. Sie
klagte sich an, ihn zu sehr zu lieben, bat ihn, nur zu
kommen, wenn er Zeit hätte, erniedrigte dies Ringen der
Ehrsucht durch einen Blick gen Himmel. Sie wollte also
warten! Künftig wollte sie ihre Freuden opfern. Sie hatte
nur ein Sprungbrett sein wollen und war ein Hindernis! ...
Sie weinte vor Verzweiflung.
»Die Frauen«, sagte sie mit Tränen in den Augen, »haben
also nichts als die Liebe. Die Männer haben tausend
Möglichkeiten zu handeln. Wir Frauen können nur den-
ken, beten, anbeten.«
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Soviel Liebe erheischte Lohn. Wie eine Nachtigall, die
von einem Zweige zur Quelle herabhüpfen will, blickte
sie sich um, ob sie allein in der Einsamkeit war, ob die
Stille keinen Zeugen verbarg. Dann blickte sie zu Raoul
auf, der sich niederbeugte, und erlaubte ihm einen Kuß,
den ersten, einzigen, den sie heimlich geben durfte. In
diesem Augenblick fühlte sie sich glücklicher, als sie in
fünf Jahren gewesen war. Raoul fühlte alle seine Mühen
bezahlt. Beide gingen, ohne recht zu wissen, wohin, auf
dem Weg von Auteuil nach Boulogne. Sie mußten um-
kehren, um wieder zu ihren Wagen zu gelangen. Sie gin-
gen in dem wiegenden Gleichschritt, den die Liebenden
kennen. Raoul glaubte an diesen Kuß, den sie mit der
sittsamen Freiwilligkeit gegeben hatte, die die Heiligkeit
des Gefühls verleiht. Alles Böse kam von der Welt und
nicht von dieser Frau, die so ganz die Seine war. Raoul
bereute die Qualen seines gehetzten Lebens nicht mehr;
Marie mußte sie in der Glut ihres ersten Verlangens ver-
gessen, wie alle Frauen, denen die schrecklichen Kämpfe
solcher Ausnahmeexistenzen nicht jederzeit vor Augen
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